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Carmen Loch und ich haben mit einer gemeinsamen Arbeit an einem Vernetzungsprojekt für alle deutschen Kunsthochschulen teilgenommen. Unter dem Titel Kurzschluss gab es seit dem Sommer ein Forum im Internet, über das sich alle Kunststudenten aus Deutschland über gemeinsame Projekte austauschen und zu Arbeitsgruppen finden konnten. Seit September wurde nun auf dem Gelände eines alten Möbelhauses in Bad Cannstatt/Stuttgart gemeinsam gearbeitet. Von 4. bis 20. November waren die Ergebnisse in einer Ausstellung zu sehen. Carmen und ich haben vor Ort arbeitende Künstler fotografiert und sind mit den Fotos auf die Straße um Passanten über ihre ersten Eindrücke und Vermutungen zu befragen. Uns interessierte, wie sich ein erstes Bild von einem Menschen bildet, was man alles in ihn hineinsieht, was sich vielleicht auch aus der eigenen Situation auf den Abgebildeten überträgt, und ob man den Künstler als Künstler erkannte. Das Ergebnis waren leider oft recht oberflächliche Beschreibungen, manche aber auch sehr interessant, es ergaben sich teilweise sogar intensivere Gespräche über Kunst. Anfangs waren wir sehr enttäuscht, von unseren Aufnahmen, der Situation mit den anderen Künstlern, es passierte recht wenig, oft kam es uns vor, dass das Dabeisein schon als Kunst gesehen wurde. Unser Gespräch, wie es weiter gehen kann, haben wir im Zug auf der Heimreise auch auf Band aufgezeichnet um uns zuhause vielleicht klarer zu werden. Wir hatten ein wenig damit gerechnet, dass wir die Aufnahmen der Interviews nur zu präsentieren bräuchten. Jetzt war aber schnell klar, dass das nicht alles sein kann. Einerseits sind die Gespräche oft uninteressant, andere sind uns aber fast zu wertvoll, weil die Leute sich richtig geöffnet haben. So meinte eine ältere Dame auf die Frage, ob unsere Befragung etwas mit Kunst zu tun haben könnte, ja, selbstverständlich, Kunst knüpft ja Beziehungen und lädt zum Nachdenken ein, sie werde jetzt immer an dieser Stelle vor dem Schwimmbad an dieses Treffen denken, der Ort ist für sie ein ganz anderer geworden, sie möchte sich auch gerne die Ausstellung ansehen. Hier ist es gelungen, auch die Passanten, zumindest diese eine, mit dem Projekt zu vernetzen.
Für die Ausstellung planten wir nun die Beschallung des Möbelhauses, das mit den einzelnen Ausstellungskojen wirklich noch wie ein Kaufhaus wirkt, mit den Aufnahmen der Passanten. Sie hätten also leise die Arbeiten der Künstler begleitet, die noch vor ein paar Wochen gearbeitet haben und den Passanten auf Fotos bekannt waren. In einem kleineren Raum sollten die Aufnahmen zum konzentrierten Anhören noch einmal zur Verfügung stehen, ausserdem unser Gespräch und die Beschreibung der Vorgehensweise.

Leider war es aus verschiedenen Gründen nicht möglich, unsere Arbeit in diesem Rahmen auszustellen. Wir haben sie dann sehr reduziert, uns schien diese Präsentation schließlich am geeignetsten. Zu lesen war nur eine Beschreibung* unserer Vorgehensweise, mit der Möglichkeit, einen Komentar zu hinterlassen. Nach der Ausstellung wird nun an einem Katalog gearbeitet.

* Kunst beginnt für uns mit Forschung. Identität ist ein Bereich, der uns
beide schon einige Zeit beschäftigt. Wie bildet sich Identität? Was sieht
der Mensch in Andere hinein? Was projiziert er von sich auf sein jeweiliges
Gegenüber? Die Frage nach dem Selbst- und Fremdbild ist der Augangspunkt für
unsere Arbeit, die sich in der cirka dreimonatigen Entwicklungsphase
kontinuierlich verändert hat.

13.09.2005

Intention
Wir wollen während unseres Projektes einen Blick von Außen auf die Künstler
einfangen, die an Kurzschluss beteiligt sind. Gerade hier kommen ganz
unterschiedliche Arbeitshaltungen zusammen; diese Vielfalt zeigt die
Situation der gegenwärtigen Kunst, in der die Künstler keinem eindeutig
festgelegten Typus mehr angehören. Unser Interesse gilt der Wirkung eines so
breit gefächerten Kunstschaffens auf Menschen, die keinen unmittelbaren
Zugang zur Kunst haben.

Herangehensweise
Während der offenen Arbeitssituation in dem ehemaligen Möbelhaus bietet sich
die Möglichkeit, das Vorgehen der Künstler zu beobachten und direkt mit der
Kamera festzuhalten. Die so entstandenen Momentaufnahmen zeigen wir
unbeteiligten Personen und bitten sie, die abgebildeten Menschen und deren
Tätigkeiten zu beschreiben. Außerdem wünschen wir uns, dass über das
Sichtbare hinaus Vermutungen über die Persönlichkeit der dargestellten
Person geäußert werden.
Diese Einschätzungen nehmen wir auf Band auf.

 

17.09.2005

Das Ergebnis ist keine Studie nach dem Motto "Von 100 befragten Personen in
der Altersgruppe von...bis... in der Berufsgruppe..."
Was wir Ihnen in der Ausstellung zeigen wollen, sind die Tonaufnahmen der
Passanten und ein aufgezeichnetes Gespräch zwischen uns beiden auf der
Rückfahrt von Bad Cannstatt nach Nürnberg. Darin versuchen wir uns, über
unser Verhältnis zu dem Projekt klarzuwerden. Zwar hatten wir vor der
Durchführung der Befragung keine konkreten Erwartungen, sind aber doch
enttäuscht, da die Aufnahmen nicht die erhoffte Aussagekraft haben.

13.10.2005

Mit einigem Abstand sind für uns mehrere Probleme entstanden.
Viele Gespräche geben wenig Aufschluss über Befragte und Künstler; andere
hingegen sind für uns von großer Bedeutung, weil sich hier Personen stark
auf unser Projekt eingelassen haben.

04.11.2005

Wir wollen Sie als Besucher einerseits nicht mit uninteressanten
Aussagen überfordern, zum Vorbeigehen sind uns manche Gespräche aber auch zu
schade. Auf ein Ergebnis können wir uns nicht festlegen; wir können
Ihnen nur beschreiben, was wir geplant hatten und wie wir vorgegangen sind.
Letztlich sind wir zu dem Schluss gekommen, dass es am konsequentesten ist,
Ihnen keine Aufnahmen zur Verfügung zu stellen, sondern lediglich diesen
Text als Dokumentation zu präsentieren.

Bianca Häutle und Carmen Loch